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Entschädigungsansprüche aufgrund von Betriebsschließungen (Stand: 2. Juli 2020)

In ganz Deutschland wurde aufgrund landesgesetzlicher Regelungen im Zusammenhang mit den im März 2020 beschlossenen „Lockdowns“ bekanntlich der Betrieb zahlreicher Einrichtungen und Unternehmen untersagt. Weitgehend wurden die Untersagungsbestimmungen im Monat Mai zurückgenommen, teilweise gelten Sie bis heute fort (so etwa für den Betrieb von Clubs und Diskotheken oder für das Prostitutionsgewerbe). Auch Großveranstaltungen sind weiterhin nur eingeschränkt und für die einhergehenden Betriebe weitgehend nicht existenzsichernd möglich.

Die staatlichen Auffangmaßnahmen zum Schutz der betroffenen Unternehmen sind unzureichend, um die erlittenen Einnahmeausfälle auszugleichen. Die betroffenen Betriebe, insbesondere im Handel, der Gastronomie, dem Veranstaltungsbereich und der Kultur (und naturgemäß den Clubs und Diskotheken sowie Prostitutionsbetrieben) haben, auch wenn sie teilweise staatliche Ausgleichsleistungen wie die Soforthilfen erhalten haben, bis heute massive unternehmerische Verluste erlitten, die sich nicht nur auch auf das Privatvermögen der Unternehmensinhaber auswirken. Es werden auch zahlreiche Insolvenzen eintreten, zumal die betroffenen Unternehmen häufig über geringfügiges Eigenkapital verfügen.

Wir wollen nachfolgend Hinweise auf mögliche Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche geben, die den betroffenen Unternehmen gegen den Staat zustehen können.

1. Entschädigungsansprüche nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG)

a) § 56 IfSG

Entschädigungsansprüche nach dieser Bestimmung dürften Betroffenen nicht zustehen, da die geschädigten Unternehmen nicht Normadressat des § 56 IfSG sein dürften. Denn die Bestimmung öffnet Entschädigungsansprüche nur für denjenigen, der auf Grund des IfSG als

„Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern“

Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet.

Vereinzelt wird in der juristischen Literatur eine analoge Anwendung der Bestimmung auch für Betriebsschließungen angenommen. Wir halten dies aufgrund des klaren Gesetzeswortlauts jedoch nicht für belastbar.

b) § 65 IfSG

enthält die nachfolgend auszugsweise zitierte Regelung

„ (1) Soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird, ist eine Entschädigung in Geld zu leisten; …

(2) Die Höhe der Entschädigung nach Absatz 1 bemisst sich im Falle der Vernichtung eines Gegenstandes nach dessen gemeinem Wert, … . Die Entschädigung für andere nicht nur unwesentliche Vermögensnachteile darf den Betroffenen nicht besser stellen, als er ohne die Maßnahme gestellt sein würde. Auf Grund der Maßnahme notwendige Aufwendungen sind zu erstatten.“

Wenn anzunehmen ist, dass sich bei den coronabedingten Betriebsschließungen um Maßnahmen nach den §§ 16 und 17 IfSG handelt, stehen den Betroffenen Entschädigungsansprüche gegen den Staat zu.

§ 16 IfSG ist im 4. Abschnitt des IfSG („Verhütung übertragbarer Krankheiten“) geregelt.

Wir zitieren nachfolgend auszugsweise den Grundtatbestand des § 16 IfSG:

„(1) Werden Tatsachen festgestellt, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können, oder ist anzunehmen, dass solche Tatsachen vorliegen, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit hierdurch drohenden Gefahren.“

In der bislang zur Corona-Pandemie veröffentlichten Literatur wird, soweit ersichtlich, mehrheitlich vertreten, den Betroffenen stünden Entschädigungsansprüche aufgrund pandemiebedingter Betriebsschließungen nach § 65 IfSG nicht zu. Die vorstehend zitierten Vorschriften seien nicht einschlägig, da die Betriebsschließungen nicht Maßnahmen der Verhütung übertragbarer Krankheiten, sondern der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten im Sinne des 5. Abschnitts des Infektionsschutzgesetzes seien.

Korrespondierend mit der oben zitierten Vorschrift des § 16 IfSG enthält § 28 IfSG (5. Abschnitt „Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“) die auszugsweise nachfolgend zitierte Bestimmung:

„§ 28 Schutzmaßnahmen

(1) Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder …, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.“

In der Rechtswissenschaft wird aber auch auf die mangelhafte Regelungssystematik des Infektionsschutzgesetzes (vgl. Schwarz in seiner Urteilsbesprechung zum Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 29.04.2020, CoVuR 2020, 142, 144) sowie auf die Absicht des Gesetzgebers im Zusammenhang mit der bereits im Jahr 1971 erfolgten Änderung der seuchenrechtlichen Vorgängervorschrift des (heutigen) § 65 IfSG hingewiesen, wonach zwischen entschädigungslos hinzunehmenden Maßnahmen gegen Störer und zu entschädigenden Maßnahmen gegen Nichtstörer zu unterscheiden sei: Vgl. Rommelfanger, CoVuR 2020,178, 179 f. unter Hinweis auf Bundestagsdrucksache VI/1568, Vorblatt A II sowie B Zu A II. Wir zitieren aus der Regierungsbegründung:

„Schäden aufgrund (dort) von Entseuchungsmaßnahmen sollen künftig nur dann ausgeglichen werden, wenn sich die seuchenhygienische Maßnahme gegen einen Nichtstörer im Sinne des Polizeirechts gerichtet hat und deshalb eine Enteignung (Art. 14 Abs. 3 GG) vorliegt.“

Die im Rahmen der Corona-Epidemie erfolgten Betriebsschließungen wurden nun aber gerade gegenüber den Unternehmen als Nichtstörer verfügt. Es wird daher in der Literatur zu Recht darauf hingewiesen, dass die Vertreter der oben zitierten Mehrheitsmeinung zum Ergebnis kommen würden, dass Maßnahmen gegen Störer, insbesondere gegenüber Kranken, (selbst wenn diese sich beispielsweise selbst schuldhaft infiziert hätten, d. Verf.) Entschädigungsansprüche auslösen würden, während von Maßnahmen betroffene (unbeteiligte) Nichtstörer leer ausgingen. Dies ist naturgemäß systemwidrig und wird zurecht von Rommelfanger als perfide bezeichnet. Er spricht sich daher dafür aus, die vom Gesetzgeber angeblich vorgesehene Regelungslücke durch Analogie zu schließen.

2. Entschädigungsansprüche aufgrund anderweitiger Rechtsgrundlagen

a) Landespolizeigesetze

Nach geltendem Polizeirecht dürfen polizeiliche Maßnahmen gegenüber einer Person, die nicht sogenannter Zustandsstörer oder Handlungsstörer ist, nur unter gesetzlich gesondert geregelten strengen Voraussetzungen getroffen werden. Der betroffenen Person steht in diesem Fall ein gesetzlicher Entschädigungsanspruch für den ihr durch die Maßnahme entstandenen Schaden zu (vgl. etwa § 55 PolG BW). Diese gesetzliche Bestimmung bestätigt den oben entwickelten Rechtsgedanken, dass Maßnahmen gegen Nichtstörer – wie die von Betriebsschließungen Betroffenen – gegenüber Maßnahmen gegen Störer erst recht Entschädigungsansprüche auslösen müssen. Der geäußerten Auffassung, die Regelungen des Infektionsschutzgesetzes würden als spezielleres Recht den Rückgriff auf die allgemeinen polizeirechtlichen Vorschriften sperren (so das Landgericht Heilbronn) wird in der Literatur insbesondere von Schwarz entgegengetreten. Auch Rommelfanger weist zutreffend darauf hin, eine abschließende Regelung des Infektionsschutzgesetzes könnte nur angenommen werden, soweit deren sondergesetzliche Regelungen den Entschädigungsanspruch hätten abschließend normieren wollen. Dies sei nicht der Fall, wovon auch die Gesetzesbegründung vom seinerzeitigen Bundesseuchengesetz ausgehe.

b) Enteignender Eingriff bzw. Aufopferungsanspruch

Ein sogenannter Aufopferungsanspruch gegen den Staat steht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof demjenigen Geschädigten zu, der seine besonderen Rechte und Vorteile dem Wohle des Gemeinwesens aufzuopfern genötigt wird. In einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1953 wird dieser Aufopferungsanspruch dem dort Geschädigten gewährt, obwohl ein seuchenrechtlicher (heute als „infektionsschutzrechtlich“ bezeichnet) Hintergrund bestand. Nach dieser Rechtsprechung finden mithin die Regelungen über den enteignenden Eingriff neben den seuchenrechtlichen Bestimmungen Anwendung und sind durch diese nicht ausgeschlossen. Zweifelhaft könnte im vorliegenden Fall allerdings sein, ob diese Regelungen auch dann Anwendung finden, wenn nicht nur Einzelne von einem Gesetz oder hoheitlichem Handeln gleichsam zufällig betroffen sind, sondern geradezu beabsichtigt ein Sonderopfer zu erbringen haben, worauf der Bundesgerichtshof hinwies.

Gesamtwürdigung:

Es bestehen gute Gründe, dass die von Betriebsschließungen Betroffenen mit angemessener Erfolgsaussicht Schadensersatzansprüche gegen die öffentliche Hand durchsetzen können. Die Rechtslage ist naturgemäß auch vor dem Hintergrund nicht klar zu beurteilen, als eine der aktuellen Covid-19-Pandemie vergleichbare Situation in der deutschen Geschichte und Rechtsgeschichte schlicht noch nie vorlag. Entsprechend liegen keine Präzedenzentscheidungen vor. Freilich wird auch von maßgeblichen Verfassungsrechtlern darauf hingewiesen, dass die vorliegenden Betriebsschließungen final nicht entschädigungslos hingenommen werden müssen. Es wird vertreten, dass Ansprüche umso eher geltend gemacht und erfolgreich durchgesetzt werden können, je schwerwiegender sich die finanziellen Eingriffe bzw. Lasten für den Betroffenen darstellen. Die bisherigen Maßnahmenpakete waren wenig differenziert. Beispielsweise die staatliche Soforthilfe wurde im Wesentlichen ungeachtet der Höhe des erlittenen Liquiditätsengpasses gewährt. Unternehmen mit großen Nachteilen wurden nicht bessergestellt als Unternehmen mit kleineren Nachteilen. Auch dieses Missverhältnis dürfte sich positiv auf die Erfolgsaussicht der Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen gegen die öffentliche Hand auswirken.

Rechtsanwalt Dr. jur. Alexander Böck

Lenzhalde 53
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