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Teil 7: Medizinisches Versorgungszentrum – Update

Neben der klassischen Gemeinschaftspraxis (nach neuerer Sprachregelung „Berufsausübungsgemeinschaft“ bzw. „BAG“) führte der Gesetzgeber bereits mit Wirkung zum 1. Januar 2004 als weitere zentrale Kooperationsform für Mediziner das Rechtsinstitut des medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) ein. Für welche kooperationswilligen Mediziner ist das MVZ interessant?

Die gesetzliche Legaldefinition für medizinische Versorgungszentren lautet nach § 95 Absatz 1 Satz 2 des 5. Sozialgesetzbuchs (SGB V): „Medizinische Versorgungszentren sind ärztlich geleitete Einrichtungen, in denen Ärzte, die in das Arztregister nach Absatz 2 Satz 3 eingetragen sind, als Angestellte oder Vertragsärzte tätig sind.“

Gründereignung für medizinische Versorgungszentren

Medizinische Versorgungszentren können nach § 95 Abs. 1a SGBV ausschließlich von zugelassenen Ärzten, von zugelassenen Krankenhäusern, von Erbringern nichtärztlicher Dialyseleistungen nach § 126 Absatz 3 SGBV, von anerkannten Praxisnetzen nach § 87b Absatz 2 Satz 3 SGBV, von gemeinnützigen Trägern, die aufgrund von Zulassung oder Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, oder von Kommunen gegründet werden. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers sind als Gründer oder Gesellschafter von medizinischen Versorgungszentren Investoren oder sonstige, allein Kapitalinteressen verfolgende Personen oder Unternehmen ausdrücklich ausgeschlossen. Freilich hat sich in der Praxis erwiesen, dass Investoren auf dem Umweg über den Erwerb von oder über die Beteiligung an zugelassenen Krankenhäusern in der Lage sind, sich mittelbar und wirtschaftlich vollwertig an medizinischen Versorgungszentrum zu beteiligen.

Wahl der Rechtsform für ein Medizinisches Versorgungszentrum

Während wir im Bereich der örtlichen oder überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften, für die aus Rechtsgründen regelmäßig die Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ausscheidet,  aus Haftungsgründen regelmäßig die Partnerschaftsgesellschaft als geeignete Rechtsform empfehlen (lesen Sie hierzu unseren Artikel ärztliche Kooperationsformen nach geltendem Recht – Teil 1: Die örtliche Berufsausübungsgemeinschaft), stellt sich die Situation beim medizinischen Versorgungszentrum als komplexer dar.

Wird für das MVZ eine Personengesellschaft (GbR oder Partnerschaftsgesellschaft) in Aussicht genommen, empfehlen wir als Rechtsform für das MVZ, wie auch für Berufsausübungsgemeinschaften, im Regelfall die Partnerschaftsgesellschaft.
Bei Beteiligung eines Krankenhauses als Gründer beziehungsweise Träger des MVZ empfiehlt sich im Regelfall die GmbH als die geeignete Rechtsform, zumal Krankenhäuser als solche nur sehr selten als Personengesellschaft errichtet sind. Sind an einem MVZ lediglich Vertragsärzte beteiligt, welche sich üblicherweise nicht in der Rechtsform einer juristischen Person wie der GmbH organisieren und in der Regel nicht dürfen, empfehlen wir ebenfalls die Partnerschaftsgesellschaft als auszuwählende Rechtsform für das MVZ. Ob und in welchem Falle die GmbH der Partnerschaftsgesellschaft vorzuziehen ist und welche, insbesondere berufsrechtlichen und steuerlichen Probleme hierbei auftreten beziehungsweise zu lösen sind, bedarf in jedem Einzelfall sorgfältiger Prüfung. Jedenfalls kann sich die GmbH auch bei einem MVZ ohne Krankenhausträgerschaft, speziell bei Großpraxen oder bei Beteiligung der kapitalintensiven Fachrichtungen Labormedizin oder Radiologie, anbieten.

Bürgschaftsverpflichtung bei Wahl der GmbH als Rechtsform für das MVZ

Sämtliche Gesellschafter eines MVZ in der Rechtsform der GmbH haben nach § 95 Absatz 2 Satz 6 SGB V selbstschuldnerische Bürgschaftserklärungen oder andere Sicherheitsleistungen nach § 232 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)  für Forderungen von Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen gegen das medizinische Versorgungszentrum aus dessen vertragsärztlicher Tätigkeit abzugeben. Der Gesetzgeber führt ausdrücklich aus, dass dies auch Forderungen betrifft, die erst nach Auflösung des medizinischen Versorgungszentrums fällig werden.

Ob für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters aus einem MVZ das Risiko der Inanspruchnahme aus der Bürgschaft gleichsam ewig andauert oder zeitlich begrenzt ist, war mangels einschlägiger Rechtsprechung lange ungeklärt. Das Bundessozialgericht (BSG) hat aber zwischenzeitlich entschieden, dass die Gesellschafter diese Bürgschaften bei ihrem Ausscheiden aus der Trägergesellschaft bzw. bei einem Wechsel der Trägergesellschaft zwar nicht sofort zurückerhalten, diese aber lediglich für die Dauer einer 5-jährigen Nachhaftungszeit stellen müssen (vgl. BSG, Urteil vom 11.09.2019 – B 6 KA 2/18 R).

Soweit die Gesellschafter von Trägergesellschaften eines MVZ juristische Personen oder nicht ausschließlich natürliche Personen sind, wurden in der Vergangenheit von einigen Kassenärztlichen Vereinigungen Bürgschaften von Gesellschaftern, die nicht natürliche Personen sind, für nicht ausreichend erachtet. Als Begründung wurde angegeben, dass die jeweiligen Gesellschafter, insbesondere GmbHs, nur auf ihr Gesellschaftsvermögen beschränkt haften. Die Kassenärztlichen Vereinigungen, insbesondere in Bayern leisteten daher Abschlagszahlungen nur dann, wenn das MVZ zur Sicherung von Forderungen der Kassenärztlichen Vereinigung und der Krankenkassen aus dessen vertragsärztlicher Tätigkeit eine selbstschuldnerische Bürgschaft einer Bank beibrachte.

Das Bundessozialgericht hat diese Handhabung zu Recht für unzulässig und als gegen den Wortlaut von § 95 Abs. 2 Satz 6 SGB V verstoßend angesehen. Es entschied mit Urteil vom 22. 10. 2014 – B 6 KA 36 / 13 R, dass § 95 Abs. 2 Satz 6 SGB V nicht die Anforderung einer Bürgschaft der hinter der MVZ-Trägergesellschaft stehenden natürlichen Personen fordert bzw. zulässt (ähnlich BSG, Urteil vom 07.09.2022: B 6 KA 10/21 R).

Einzelfragen und Beraterhinweise

Angestellte Ärzte:

Statistische Kennzahlen belegen, dass in Krankenhaus-MVZ, aber in auch Vertragsärzte-MVZ vorrangig angestellte Ärzte beschäftigt werden. Dies hat mannigfaltige Gründe. Zum einen wollen im MVZ tätige Ärzte häufig kein unternehmerisches Risiko eingehen, das mit einer Einzelpraxis oder der Beteiligung an einer Berufsausübungsgemeinschaft verbunden ist. Viele, oft jüngere Ärzte wollen weder eine Unternehmerposition einnehmen noch das Risiko der gesamtschuldnerischen Haftung eines persönlich haftenden Gesellschafters eingehen. Die Anstellung in einem MVZ wird zunehmend auch von älteren Ärzten gewünscht, die als Zwischenstufe zwischen ihrer unternehmerischen Tätigkeit als selbstständiger Arzt oder Gesellschafter einer BAG und ihrem bevorstehenden Ruhestand, auch im Zusammenhang mit der Übertragung ihrer Praxis oder ihres Gesellschaftsanteils, einen fließenden und wirtschaftlich abgesicherten Übergang in den Ruhestand anstreben.

Sind Zulassungsbeschränkungen angeordnet, ist die Anstellung von approbierten Ärzten durch ein MVZ regelmäßig nur darstellbar, wenn der anzustellende Arzt bereits Vertragsarzt ist. Seine Zulassung hat er dem MVZ zur Verfügung zu stellen.

Rechtstechnisch geschieht dies durch „Einbringung“ des Vertragsarztsitzes in das MVZ. Nach § 103 Absatz 4a SGB V kann ein Vertragsarzt auf seine Zulassung verzichten, um in einem medizinischen Versorgungszentrum als angestellter Arzt tätig zu werden. Der Zulassungsausschuss hat die entsprechende Anstellung zu genehmigen, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen. Das Risiko für den Vertragsarzt besteht darin, dass eine Fortführung der Praxis durch den Vertragsarzt bei einer etwaigen Beendigung des Anstellungsverhältnisses nur möglich ist, wenn das MVZ die Rückumwandlung der Zulassung zu Gunsten des ausscheidenden angestellten Arztes beantragt. Der Vertragsarztsitz wird somit mangels anderweitiger vertraglicher Regelung, die im Interesse des angestellten Arztes erwogen werden muss, faktisch unwiederbringlich in das MVZ eingebracht. Das MVZ umgekehrt kann den „Anstellungssitz“ nach Beendigung des Anstellungsvertrages mit dem Vertragsarzt frei nachbesetzen. Auf diesem Weg kann auch ein Arzt ohne eigene Zulassung einen „Anstellungssitz“ erwerben.

Vertragsgestaltung:

Die Vertragsgestaltung bei der Errichtung eines medizinischen Versorgungszentrums bedarf besonderer Sorgfalt. Es stehen unterschiedliche rechtliche Konstruktionen zur Verfügung, die jeweils einer individuellen und von einem geeigneten Rechtsanwalt zu steuernden Gestaltung bedürfen. Die mit der Einrichtung eines MVZ verfolgten wirtschaftlichen und medizinischen Ziele sind vielfältig. Die auf dem Buchmarkt und im Internet vorhandenen Musterverträge sind oft ungeeignet oder allenfalls partiell einsetzbar. Zwingend individuell geregelt werden müssen insbesondere die vertraglichen Bestimmungen über Vermögens-, Gewinn- und Kostenbeteiligungen sowie -zurechnungen.
Eine Gewinnverteilung nach Kopfteilen wird häufig nicht den subjektiven Interessen der im MVZ tätigen Vertragsärzte und/oder von deren Gesellschaftern entsprechen. Es bedarf einer sorgfältigen Analyse und Prognose der wirtschaftlichen und medizinischen Leistungsbeiträge der im MVZ tätigen Vertragsärzte und/oder von deren Gesellschaftern. Es muss gründlich abgewogen werden, ob starre Prozentsätze für die Gewinnbeteiligung gelten sollen oder ob flexible Regelungen vorzuziehen sind. Eine sorgfältige und sowohl betriebswirtschaftlich als auch juristisch durchgeführte Analyse und Umsetzung diverser Prüfungsparameter ist auch unerlässlich, um späteren Streit zwischen den Gesellschaftern und/oder den im MVZ tätigen Leistungserbringern zu vermeiden.

Praxisempfehlung und Fazit

Die Gründung eines medizinischen Versorgungszentrums ist umso geeigneter, je komplexer sich die Struktur oder die wirtschaftliche Ausdehnung der medizinischen Leistungserbringer und/oder ihrer Gesellschafter darstellt. Wünschen Vertragsärzte die Anstellung zahlreicher Ärzte oder die rechtliche Verbindung mit einer Krankenhausgesellschaft, bietet sich im Regelfall nur das medizinische Versorgungszentrum als geeignetes Rechtsinstitut an. Wünschen Vertragsärzte „lediglich“ die rechtliche Verbindung mit anderen Vertragsärzten und keine große juristische oder betriebswirtschaftliche Struktur, ist nach unserer Erfahrung die Errichtung einer Berufsausübungsgemeinschaft häufig ausreichend und geeignet, die wirtschaftlichen und rechtlichen Interessen der Beteiligten ordnungsgemäß abzubilden. Doch auch bei der Gestaltung von Verträgen über Berufsausübungsgemeinschaften ist höchste Sorgfalt anzuwenden (lesen Sie hierzu unseren Artikel ärztliche Kooperationsformen nach geltendem Recht – Teil 1: Die örtliche Berufsausübungsgemeinschaft).

Stand: April 2024

Rechtsanwalt Dr. jur. Alexander Böck