Ärztliche Kooperationsformen nach geltendem Recht
Teil 9: Angestellte Ärzte
Die Anzahl angestellter Ärzte ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Dies liegt u.a. an den vielen ärztlichen Angestellten in medizinischen Versorgungszentren. Während im stationären Bereich der angestellte Arzt traditionell akzeptiert wird, wird die Anstellung von Ärzten im ambulanten Bereich, insbesondere in privaten Vertragsarztpraxen, bisweilen als Ende der Freiberuflichkeit des Arztberufs auf Raten bezeichnet. Andere schätzen neben der sozialen Sicherheit im Anstellungsstatus den Wegfall arztfremder Verwaltungstätigkeiten und die Konzentration auf medizinische Aufgaben bei angestellten Ärzten.
Das am 1. Januar 2007 in Kraft getretene Vertragsarztrechtsänderungsgesetz bezweckt vorrangig die Erleichterung der vertragsärztlichen Leistungserbringung. Dieser Zweck soll insbesondere erreicht werden durch die Ausweitung ärztlicher Kooperationsformen sowie durch die Erleichterung der Anstellung von Ärzten durch Vertragsärzte. Im Hinblick auf die Anstellung von Ärzten wurden die Vertragsärzte mit den medizinischen Versorgungszentren (MVZ) gleichgestellt, um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten.
Gewährleistung der persönlichen Leitung
Mittlerweile bestehen auch im Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) umfangreiche Regelungen zur Anstellung von Ärzten durch Vertragsärzte. Danach ist in Fällen der Beschäftigung eines angestellten Arztes oder mehrerer angestellter Ärzte sicherzustellen, dass der anstellende Vertragsarzt die Arztpraxis persönlich leitet. Die persönliche Leitung wird vermutet bei einer Anstellung von bis zu drei vollzeitbeschäftigten Ärzten oder von teilzeitbeschäftigten Ärzten in einer Anzahl, durch welche die Arbeitszeit von drei vollzeitbeschäftigten Ärzten nicht überschritten wird. Bei Vertragsärzten, welche überwiegend medizinisch-technische Leistungen erbringen, wird die persönliche Leitung bei der Beschäftigung von bis zu vier vollzeitbeschäftigten Ärzten je Vertragsarzt vermutet. Möchte der anstellende Vertragsarzt über den vorgenannten Umfang hinaus angestellte Ärzte beschäftigen (z.B. vier beziehungsweise fünf Vollzeitbeschäftigte oder mehr), so hat er dem Zulassungsausschuss vor der Erteilung der Genehmigung nachzuweisen, durch welche Vorkehrungen die persönliche Leitung der Praxis gewährleistet ist (zum Ganzen vgl. § 14a Abs.1 BMV-Ä).
Abrechnung und Ort der Tätigkeit
Der anstellende Vertragsarzt bleibt Partner des Behandlungsauftrages. Die ärztlichen Leistungen des angestellten Arztes werden dem anstellenden Vertragsarzt als persönliche Leistungen zugerechnet und können von diesem abgerechnet werden. Dies gilt auch für fachärztliche Leistungen eines angestellten Arztes eines anderen Fachgebiets (Einschränkungen bestehen bei Ärzten, deren Leistungen nur auf Überweisung in Anspruch genommen werden dürfen wie bei Fachärzten für Radiologie, Nuklearmedizin oder Laboratoriumsmedizin, vgl. § 14 a Absatz 2 BMV-Ä).
Ferner kann die Anstellung nicht nur für eine Tätigkeit am Vertragsarztsitz erfolgen, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch für eine Tätigkeit an einem weiteren Ort (Zweigpraxis) bzw. an Vertragsarztsitzen anderer Mitglieder einer Berufsausübungsgemeinschaft.
Zulassungsbeschränkungen angeordnet oder nicht?
Voraussetzung einer Anstellung ist in jedem Fall, dass der anzustellende Arzt in das Arztregister eingetragen ist und dass die Anstellung vom Zulassungsausschuss genehmigt wird.
Im Hinblick auf die Zulässigkeit der Anstellung von Ärzten durch Vertragsärzte ist zunächst danach zu differenzieren, ob für die Arztgruppe, der der anzustellende Arzt angehört, Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind oder nicht.
Offener Planungsbereich: Keine Verpflichtung zur Leistungsbegrenzung, auch Fachverschiedenheit zulässig
Sind keine Zulassungsbeschränkungen angeordnet, ist die Anstellung — im Gegensatz zu früher — nicht mehr an die Verpflichtung zur Leistungsbegrenzung geknüpft; der angestellte Arzt verfügt vielmehr über ein eigenes Budget. Ferner ist nunmehr grundsätzlich auch die Beschäftigung eines angestellten Arztes eines anderen Fachgebiets möglich.
Ob ein Anstellungsverhältnis ohne Fachidentität von anstellendem und angestelltem Arzt wirksam vereinbart werden darf, ist im konkreten Fall jedoch sorgfältig zu prüfen. Sowohl die Berufsordnungen als auch der Bundesmantelvertrag-Ärzte sehen insoweit Einschränkungen vor:
So ist die Anstellung nicht zulässig, wenn der anstellende Vertragsarzt oder der anzustellende Arzt nur auf Überweisung in Anspruch genommen werden darf (§ 14a Abs. 2 BMV-Ä). Durch diese Regelung soll verhindert werden, dass das berufsrechtliche Verbot der Zuweisung gegen Entgelt umgangen wird. Nach der Berufsordnung darf der Praxisinhaber die für ihn fachgebietsfremde ärztliche Leistung durch einen angestellten Facharzt eines anderen Fachgebiets in Fällen erbringen, in denen der Behandlungsauftrag des Patienten regelmäßig nur von Ärzten verschiedener Fachgebiete gemeinschaftlich durchgeführt werden kann (§ 19 Abs. 2 Musterberufsordnung).
Gesperrter Planungsbereich: Fachidentität und Verpflichtung zur Leistungsbegrenzung erforderlich
Anders ist die Situation, wenn für die Arztgruppe, der der anzustellende Arzt angehört, Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind. In diesem Fall muss sich der anstellende Vertragsarzt grundsätzlich zu einer Leistungsbegrenzung verpflichten („3%-Regelung“) und es muss Fachidentität zwischen anstellendem und angestelltem Arzt vorliegen (§ 95 Abs. 9 S. 2 i.V.m. § 101 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V).
Keine Leistungsbegrenzung bei Verzicht auf die Zulassung
Eine interessante und wirtschaftlich gewinnbringende Möglichkeit im gesperrten Planungsbereich bietet die neu geschaffene Regelung des § 103 Abs. 4 b SGB V: Verzichtet ein Vertragsarzt in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, auf seine Zulassung, um bei einem Vertragsarzt als angestellter Arzt tätig zu werden, so hat der Zulassungsausschuss die Anstellung zu genehmigen. Der Vorteil einer Anstellung nach entsprechendem Zulassungsverzicht ist, dass sich der anstellende Arzt nicht zu einer Leistungsbegrenzung verpflichten muss. Der Vertragsarzt und der angestellte Arzt werden abrechnungstechnisch so behandelt, wie wenn auch der angestellte Arzt (wie vor seinem Verzicht) über eine Zulassung verfügen würde. Eine Verpflichtung zur Leistungsbegrenzung ist im gesperrten Planungsbereich also nicht erforderlich, sofern der anzustellende Arzt über eine Zulassung verfügt, auf die er im Hinblick auf die beabsichtigte Anstellung verzichtet.
Ein weiterer Vorteil der Regelung des § 103 Abs. 4 b SGB V ist, dass die Stelle des angestellten Arztes nachbesetzt werden kann: Nach einer etwaigen Beendigung des Anstellungsverhältnisses kann der Vertragsarzt einen anderen Arzt anstellen, ohne dass die Stelle neu ausgeschrieben werden muss. Die Anstellung des nachrückenden Arztes bedarf wiederum der Genehmigung des Zulassungsausschusses. Der nachrückende anzustellende Arzt benötigt jedoch keine Zulassung, auf die er verzichten müsste, da er die bereits in der Bedarfsplanung berücksichtigte Stelle besetzen kann. Auf diese Weise kann ein Vertragsarzt eine einmal genehmigte Stelle eines angestellten Arztes mit den entsprechenden Abrechnungsmöglichkeiten an sich binden.
Anstellung in verschiedenen Fallkonstellationen sinnvoll
In welchen Fällen bietet sich nun die Anstellung eines Arztes an? Hier einige Beispiele:
- Handlungsbedarf kann zunächst in Berufsausübungsgemeinschaften bestehen, in denen neben Seniorpartnern auch Juniorpartner tätig sind. Die zugrunde liegenden Gesellschaftsverträge sind rechtlich oftmals kritisch zu beurteilen, insbesondere wenn eine sogenannte „Nullbeteiligungsgesellschaft“ besteht, der Juniorpartner also nicht am Gesellschaftsvermögen beteiligt ist. Hierbei ist juristisch unsicher, ob diese Konstellation überhaupt oder gegebenenfalls nur für einen gewissen Zeitraum zulässig ist. Es besteht die Gefahr, dass solche Gesellschaftsverhältnisse als „Schein-Berufsausübungsgemeinschaft“ und somit als nicht genehmigte Anstellung beurteilt werden können. Dann drohen gefährliche Konsequenzen berufsrechtlicher, abrechnungstechnischer und im Einzelfall auch strafrechtlicher Art. Die Anstellung des Juniorpartners im Anschluss an dessen Zulassungsverzicht führt Rechtssicherheit herbei.
- Das Leistungsspektrum einer Praxis in einem offenen Planungsbereich kann durch Anstellung eines Arztes aus einer Arztgruppe erweitert werden, für die keine Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind. Dadurch können in der Praxis bislang nicht vertretene Fachgebiete abgedeckt werden, ohne dass eine Verpflichtung zur Leistungsbegrenzung abgegeben werden muss.
- Die Anstellung kann sich auch anbieten, wenn eine Berufsausübungsgemeinschaft einen Nachfolger für einen ausscheidenden Kollegen sucht. Die Anstellung hat für den Anzustellenden den Vorteil, dass er kein unternehmerisches Risiko eingehen muss und die Berufsausübungsgemeinschaft kann die Arztstelle wegen der Möglichkeit der Nachbesetzung dauerhaft an sich binden.
- Ein Arzt kann auch vor seinem Ruhestand zugunsten eines Vertragsarztes gegen eine entsprechende Ausgleichsregelung auf seine Zulassung verzichten, um bei dem anderen Vertragsarzt noch einige Zeit als Angestellter tätig zu sein. Nach seinem Ausscheiden kann die Stelle nachbesetzt werden.
- Aus der Sicht des anzustellenden Arztes ist die Vereinbarung eines Anstellungsverhältnisses von besonderem Interesse, wenn die Übernahme eines stets mit einer Partnerschaft verbundenen eigenen wirtschaftlichen Risikos und die Übernahme einer unternehmerischen Verantwortung nicht gewünscht wird. Auch die wirtschaftliche Sicherheit im Rahmen eines festen Gehalts nebst Sozialversicherungsschutz und im Regelfall auch feste Arbeitszeiten werden vielfach gewünscht. Gegenüber einer Partnerschaft weist eine Anstellung auch eine erhöhte Veränderungsflexibilität auf.
- Für den anstellenden Vertragsarzt ist das Anstellungsmodell, jedenfalls sofern ein Vertragsarztsitz für den anzustellenden Arzt zur Verfügung steht oder keine Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, ein für die wirtschaftliche Optimierung seiner Arztpraxis im Sinne einer unternehmerischen Positionierung best geeignetes Modell. Auch für örtliche und überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften wie auch für Zweigpraxen ergeben sich hoch interessante Gestaltungsoptionen.
Sorgsame Planung und Vorgehensweise
Die Anstellung eines Arztes will in jedem Fall sorgsam überlegt und geplant sein unter Berücksichtigung der Voraussetzungen einer Anstellung und der rechtlichen — einschließlich der steuerlichen — Folgen. Entschließt sich der Vertragsarzt zur Anstellung und hat er sich mit dem anzustellenden Arzt über die Konditionen der Anstellung geeinigt, ist ein interessengerechter schriftlicher Arbeitsvertrag zu erstellen, der dem Zulassungsausschuss vorzulegen ist und von diesem insbesondere auf die Einhaltung der berufsrechtlichen Bestimmungen überprüft wird.
Je nach Konstellation ist auch die Änderung oder die Aufhebung des Gemeinschaftspraxisvertrages bzw. des Gesellschaftsvertrages einer Berufsausübungsgemeinschaft erforderlich. Bedacht werden muss auch eine Anpassung des Berufshaftpflicht-Versicherungsschutzes. Schließlich ist unter Einhaltung der entsprechenden Vorschriften die Genehmigung des Zulassungsausschusses zu beantragen. Nach Erteilung der Genehmigung ist die Beschäftigung der Bezirksärztekammer anzuzeigen.
Fazit
Als Ergebnis ist festzuhalten, dass durch die Anstellung von Ärzten sowohl für den anstellenden Vertragsarzt als auch für den anzustellenden Arzt hoch attraktive Gestaltungsmodelle für eine wirtschaftlich optimierte Betriebsführung von Arztpraxen und Berufsausübungsgemeinschaften realisierbar sind. Gerade von jungen Ärzten oder Ärztinnen häufig gewünschte Sicherheits- und Flexibilitätserwartungen lassen sich leicht verwirklichen. Aufgrund der komplexen wirtschaftlichen und rechtlichen Materie und der diversen einschlägigen Rechtsgebiete ist den Beteiligten in jedem Einzelfall die gründliche Beratung durch spezialisierte Kenner der rechtlichen Materie dringlich zu empfehlen, um kostenauslösende Fehler zu vermeiden. Der Verfasser geht davon aus, dass die Anzahl der Anstellungsverhältnisse von Ärzten auch einhergehend mit der Ausweitung der ärztlichen Kooperationsformen zukünftig weiter erheblich ansteigen wird. Sollte der Gesetzgeber die gesetzliche Anordnung von Zulassungsbeschränkungen, wie im Bereich der Zahnärzte, beseitigen, wird sich dieser Trend weiter beschleunigen.
Stand: Dezember 2009
Rechtsanwalt Dr. jur. Alexander Böck
Lenzhalde 53
70192 Stuttgart
E-Mail: boeck@boeck-law.de
Web: www.boeck-law.de