Ärztliche Kooperationsformen nach geltendem Recht
Teil 4: Organisationsgemeinschaften
Neben der gemeinsamen Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit im Rahmen einer Berufsausübungsgemeinschaft können sich Vertragsärzte mit geringerer rechtlicher Bindung auch zu Organisationsgemeinschaften verbinden. Im Vordergrund stehen hierbei die Praxisgemeinschaft sowie Apparate- oder Laborgemeinschaften. Im Gegensatz zur Berufsausübungsgemeinschaft wird der ärztliche Beruf in Organisationsgemeinschaften nicht gemeinsam, sondern weiterhin selbstständig ausgeübt. Hierbei eröffnen sich den Vertragspartnern interessante rechtliche und wirtschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten.
Das Hauptmotiv für die Gründung von Praxisgemeinschaften oder anderweitiger Organisationsgemeinschaften ist im Regelfall betriebswirtschaftlicher Natur. Die beteiligten Vertragsärzte wollen beispielsweise Investitionen, die ihnen allein zu aufwändig wären, gemeinsam tragen und die entsprechenden Geräte dann auch gemeinsam nutzen. Auch die gemeinsame Inanspruchnahme von nichtärztlichem Personal ist möglich. Rechtsgrundlage für die Gründung von Organisationsgemeinschaften ist § 33 Absatz 1 der Ärzte-Zulassungsverordnung („Ärzte-ZV“), der die gemeinsame Nutzung von Praxisräumen und Praxiseinrichtungen sowie die gemeinsame Beschäftigung von nichtärztlichem Personal („Hilfspersonal“) durch mehrere Ärzte ausdrücklich für zulässig erklärt. Worauf ist bei der Vertragsgestaltung zu achten?
Praxisgemeinschaft
Die Praxisgemeinschaft zeichnet sich dadurch aus, dass einerseits jeder beteiligte Vertragsarzt seine eigenen Patienten behandelt und sämtliche ärztlichen Leistungen auf eigene Rechnung liquidiert. Demgegenüber werden im Regelfall sämtliche oder die wesentlichen Betriebskosten der Praxisgemeinschaft nach einem bestimmten Verteilungsschlüssel den Mitgliedern der Praxisgemeinschaft zugerechnet. Der klarste Fall ist die Verteilung sämtlicher Kosten der Mitglieder der Praxisgemeinschaft nach Kopfteilen. Als Mitglieder von Praxisgemeinschaften kommen grundsätzlich auch ärztliche Berufsausübungsgemeinschaften in Betracht. Umstritten ist, ob einer Praxisgemeinschaft auch nichtärztliche Angehörige anderer Gesundheitsberufe angehören können. Nach zutreffender Auffassung dürfte es sich dann allerdings um eine medizinische Kooperationsgemeinschaft nach § 23 b der Musterberufsordnung handeln. Es empfiehlt sich, in derartigen Fällen vorab das Gespräch mit der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zur Abstimmung zu suchen.
Betrug ist strafbar
Neben rechtstechnischen Abgrenzungen sind auch abrechnungsrechtliche Besonderheiten zu beachten. In der Berufsausübungsgemeinschaft ist jeder Arztfall beziehungsweise infolge des Beschlusses des Bewertungsausschusses der Kassenärztlichen Vereinigung vom 22. April 2009 mit Wirkung ab dem 1. Juli 2009 jeder „Behandlungsfall“ im Quartal nur einmal abrechenbar. Demgegenüber kann die Praxisgemeinschaft gegebenenfalls einzelne Patienten mehrfach behandeln, da in dieser die vertragsärztliche Tätigkeit von deren Mitgliedern selbstständig ausgeübt wird. Insbesondere die Ordinationsgebühr lässt sich mehrfach abrechnen. In diesem Zusammenhang sind Fälle bekannt geworden, in denen durch die verschleierte Wahl der nicht korrekten Rechtsform Praxisgemeinschaft die Ordinationsgebühr mehrfach abgerechnet wurde, obwohl im Innenverhältnis zwischen den Beteiligten tatsächlich eine Gemeinschaftspraxis oder eine Berufsausübungsgemeinschaft vereinbart war. Die beteiligten Vertragsärzte wurden hier nicht nur von der zuständigen KV im Rahmen eines Vergleichs zu einer Rückzahlung verpflichtet, die den erlangten Vorteil bei weitem überstieg. Darüber hinaus wurden sie vom Landgericht Bad Kreuznach in einem Strafrechtsprozess zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und drei Monaten wegen gewerbsmäßigem und bandenmäßig begangenem Betrug, einer Straftat mit Verbrechenscharakter, verurteilt.
Zur Vermeidung derartiger rechtlicher Risiken ist eine präzise Einordnung der gewünschten Kooperationsform in das richtige rechtliche Kleid dringend erforderlich. Umgehungspraktiken werden empfindlich geahndet, wenn sie entdeckt werden. Das betrifft auch Gestaltungen, die – häufig nur gut getarnt und dennoch rechtswidrig – in Wahrheit Kickback-Zahlungen oder Provisionen in Kooperationsmodellen unter Verstoß gegen § 31 der Musterberufsordnung zum Gegenstand haben. Einen Grenzfall für die Gestaltungspraxis und deren juristische Bewertung stellen ein „Gewinnpooling“
oder „Einnahmepooling“ beziehungsweise starre Umsatzbeteiligungen dar. Auf der einen Seite schließt das Zusammenführen der Einnahmen eine im Übrigen getrennte und den sonstigen Anhang schwierige und, wie beschrieben, teils gravierende Folgen auslösende Abgrenzungsprobleme auf, die eine eingehende Beratung erfordern und häufig die Abstimmung mit der KV zur Vermeidung von Haftungs- und Straftatbeständen erfordern.
Der gesonderten Regelung im Praxisgemeinschaftsvertrag bedürfen die nachfolgenden Themen:
Rechtsform: Im Gegensatz zu den Berufsausübungsgemeinschaften, für die wir in unserer Beratungspraxis regelmäßig die Partnerschaftsgesellschaft als Rechtsform empfehlen, steht diese für die Praxisgemeinschaft und die anderen Organisationsgemeinschaften nicht zur Verfügung. Der Grund hierfür ist, dass die Partnerschaftsgesellschaft zur Voraussetzung hat, dass sich Angehörige freier Berufe zur Ausübung ihres Berufes zusammenschließen. Die gemeinsame vertragsärztliche Tätigkeit darf jedoch von Gesetzes wegen gerade nicht Gegenstand einer Praxisgemeinschaft sein. Denkbar ist bei Praxisgemeinschaften und anderen Organisationsgemeinschaften allerdings die GmbH, die etwa Gerätschaften ankaufen und ihren Gesellschaftern gegen ein exakt zu bestimmendes Entgelt zur Nutzung überlassen kann.
Rechte und Pflichten der Gesellschafter: Was die Nutzung der von der Praxisgemeinschaft angemieteten Räume sowie der medizinischen Gerätschaften und des Personals angeht, ist dringend eine exakte Definition und Zuordnung zu den einzelnen Gesellschaftern der Praxisgemeinschaft im Gesellschaftsvertrag zu empfehlen. Der Gesellschaftsvertrag sollte auch Regelungen über die Bedingungen enthalten, wann, unter welchen Voraussetzungen, in welchem Verfahren und mit welchen Mehrheiten Neuanschaffungen oder Ersatzbeschaffungen von Investitionen der Praxisgemeinschaft erfolgen können und unter welchen Bedingungen Personal entlassen oder eingestellt werden kann.
Einlagen und Beteiligung der Gesellschafter, Rechnungsabschluss: Da die Praxisgemeinschaft zunächst vorrangig eine Kostenteilungsgemeinschaft ist, ist im Gesellschaftsvertrag zu regeln, in welchem Verfahren die Gesellschafter verpflichtet sind, Einlagen in die Gesellschaft zu leisten, damit die Investitionen und sonstigen Kosten getragen werden können. Bei Neu- und Ersatzbeschaffungen empfiehlt es sich, hierüber jeweils durch Gesellschafterbeschluss entscheiden zu lassen. Die Höhe der Beteiligung jedes Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen ist im Gesellschaftsvertrag zu regeln. Abweichende Regelungen bei Einzelinvestitionen, etwa dass diese im Sonderbetriebsvermögen eines Gesellschafters gehalten werden, sind grundsätzlich denkbar. Für den Rechnungsabschluss kann im Gesellschaftsvertrag ebenso die Einnahme-Überschussrechnung wie die Bilanzierung als Gewinnermittlungsart vereinbart werden. Steuerrechtliche Beratung ist in diesem Zusammenhang dringend zu empfehlen. Da die Praxisgemeinschaft im Regelfall die entstandenen und entstehenden Kosten lediglich auf die einzelnen Gesellschafter umlegt und keinen Gewinn im steuerrechtlichen Sinne erwirtschaftet, weichen die einhergehenden Regelungen im Gesellschaftsvertrag einer Praxisgemeinschaft erheblich von denjenigen einer Berufsausübungsgemeinschaft ab.
Haftung: Da in der Praxisgemeinschaft keine gemeinsame ärztliche Berufsausübung erfolgt, kommt eine Haftung gegenüber Dritten grundsätzlich nur für Schäden in Betracht, die aus der gemeinsamen Nutzung von Räumen, Gerätschaften oder Personal oder aus der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten resultieren. Freilich ist folgendes zu beachten: Zwar ist nach § 18 a Absatz 3 der (neuen) Muster- Berufsordnung auch Organisationsgemeinschaften die gemeinschaftliche Ankündigung etwa durch Praxisschilder gestattet. Freilich kann durch eine derartige Ankündigung unter dem Gesichtspunkt der Rechtsscheinhaftung gegenüber Patienten, die nicht erkennen, dass es sich bei der Praxisgemeinschaft nicht um eine Berufsausübungsgemeinschaft handelt, eine gesamtschuldnerische Haftung sämtlicher Gesellschafter, beispielsweise für ärztliche Kunstfehler, entstehen. Derartige Schäden sind jedoch versicherbar, sodass im Einzelfall die Ankündigung einer Praxisgemeinschaft durchaus in Erwägung gezogen werden kann. Im Gesellschaftsvertrag forderungen des Berufsrechts folgende Führung der jeweiligen Praxen nicht zwingend aus. Auf der anderen Seite treten in der Praxis in diesem Zusammenmuss schließlich geregelt werden, dass die Praxisgemeinschaft über einen angemessenen Versicherungsschutz verfügen muss.
Trennung der Gesellschafter: Im Gesellschaftsvertrag bedarf es klarer Regelungen, binnen welcher Fristen und mit welchen Konsequenzen Gesellschafter aus der Praxisgemeinschaft ausscheiden können. Gerade wenn einem Gesellschafter der Vertragsarztsitz oder seine Beteiligung an der Praxisgemeinschaft durch den „Seniorpartner“ finanziert wurde, sind Regelungen zu empfehlen, die den Erhalt des Vertragsarztes für die Praxisgemeinschaft bei Ausscheiden des betreffenden Gesellschafters aus der Praxisgemeinschaft absichern.
Apparategemeinschaft
Vor dem Hintergrund der Gesetzesänderungen der vergangenen Jahre dürfen im Rahmen einer Apparategemeinschaft im Sinne von § 33 Absatz 1 Ärzte-ZV gemeinsame gerätebezogene Untersuchungsleistungen aus Rechtsgründen wohl nicht mehr erbracht und abgerechnet werden. Diese Möglichkeit eröffnet § 15 Absatz 3 des Bundesmantelvertrages. Danach können sich Vertragsärzte bei gerätebezogenen Untersuchungsleistungen zur gemeinschaftlichen Leistungserbringung mit der Maßgabe zusammenschließen, dass die ärztlichen Untersuchungsleistungen nach fachlicher Weisung durch einen der beteiligten Ärzte persönlich in seiner Praxis oder in einer gemeinsamen Einrichtung durch einen gemeinschaftlich beschäftigten angestellten Arzt erbracht werden. Die Leistungen sind persönliche Leistungen des jeweils anweisenden Arztes, der an der Leistungsgemeinschaft (diese wird bisweilen auch „Leistungserbringergemeinschaft“ genannt) beteiligt ist. Alle beteiligten Ärzte müssen im Übrigen die jeweilige Qualifikationsvoraussetzung gemäß § 11 BMV-Ä erfüllen.
Ergänzend kann auf die obigen Ausführungen zur Praxisgemeinschaft verwiesen werden.
Laborgemeinschaft
Laborgemeinschaften haben in jüngster Zeit umfängliche Rechtsänderungen, etwa im Bundesmantelvertrag, erfahren. Hier können nur einige Themen punktuell angesprochen werden:
Die Laborgemeinschaft als Unterfall der Apparategemeinschaft wird als Gemeinschaftseinrichtung von Vertragsärzten definiert, die dem Zweck dient, laboratoriumsmedizinische Analysen regelmäßig in derselben gemeinschaftlich genutzten Betriebsstätte zu erbringen (vergleiche die Definition in § 25 Absatz 3 BMV-Ä). Vor dem Hintergrund häufig praktizierter missbräuchlicher Gestaltungsformen, welche unzulässige Provisionsmodelle zwischen Laborgemeinschaften und Laborärzten zum Gegenstand hatten, liegt zwischenzeitlich nicht nur eine höchstrichterliche Rechtsprechung und damit eine gesicherte Rechtslage vor, wonach entsprechende Gestaltungen für unwirksam erklärt wurden (so etwa ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. April 2005). Weiterhin hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2008 die Direktabrechnung von allgemeinen laboratoriumsmedizinischen Leistungen nach Abschnitt 32.2 EBM durch die Laborgemeinschaften selbst vorgeschrieben und den früheren Rechtszustand, dass die einzelnen ärztlichen Mitglieder der Laborgemeinschaft die allgemeinen Laborleistungen unmittelbar abrechnen konnten, abgeändert. Weitere Restriktionen enthält § 15 Absatz 4 des Bundesmantelvertrages, wonach ein Zusammenschluss von Vertragsärzten bei gerätebezogenen Untersuchungsleistungen zur gemeinschaftlichen Leistungserbringung von Laboratoriumsleistungen des Abschnitts 32.2 des EBM mit Wirkung ab 1. Januar 2009 ausgeschlossen wurde. Bestehende Leistungserbringergemeinschaften, die vor 2009 gegründet wurden, dürfen bis zum 31. Dezember 2009 fortgeführt werden.
Stand: Juni 2009
Rechtsanwalt Dr. jur. Alexander Böck
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