Fontsize:
Send via email Print

Ärztliche Kooperationsformen nach geltendem Recht

Teil 2: Die überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft

Während örtliche Berufsausübungsgemeinschaften zwischen Vertragsärzten bereits seit vielen Jahren praktiziert werden, standen überörtlichen Kooperationen in der Vergangenheit rechtliche Hindernisse im Weg. Das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz ist den zuletzt geänderten Vorgaben der Berufsordnung gefolgt und hat Wege eröffnet, eine Berufsausübungsgemeinschaft auch an unterschiedlichen Vertragsarztsitzen zu betreiben. An berörtlichen Strukturen interessierte Vertragsärzte müssen klären, in welchen Konstellationen eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft sinnvoll ist und worauf sie besonders zu achten haben.

Bereits im Jahr 2004 wurde § 18 Absatz 3 Satz 3 der Musterberufsordnung (MBO) dahingehend abgeändert, dass eine Berufsausübungsgemeinschaft mit mehreren Praxissitzen zulässig ist, „wenn an dem jeweiligen Praxissitz verantwortlich mindestens ein Mitglied der Berufsausübungsgemeinschaft hauptberuflich tätig ist.“ Diese Regelung wurde von sämtlichen Landesärztekammern in ihre jeweilige Satzung übernommen. Seit Januar 2007 sieht darüber hinaus die vertragsarztrechtliche Bestimmung von § 33 Absatz 2 der Ärzte- Zulassungsverordnung (Ärzte-ZV) nachfolgende Regelung vor: „Sie (die Berufsausübungsgemeinschaft) ist auch zulässig bei unterschiedlichen Vertragsarztsitzen der Mitglieder der Berufsausübungsgemeinschaft (überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft), wenn die Erfüllung der Versorgungspflicht des jeweiligen Mitglieds an seinem Vertragsarztsitz unter Berücksichtigung der Mitwirkung angestellter Ärzte und Psycho therapeuten in dem erforderlichen Umfang gewährleistet ist sowie das Mitglied und die bei ihm angestellten Ärzte und Psychotherapeuten an den Vertragsarztsitzen der anderen Mitglieder nur in zeitlich begrenztem Umfang tätig werden.“

Versorgungspflicht am Vertragsarztsitz

Die Versorgungspflicht am jeweiligen Vertragsarztsitz der Mitglieder einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft (ÜBAG) ist nach § 17 Absatz 1a Satz 1 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) erfüllt, wenn der Vertragsarzt an seinem Vertragsarztsitz persönlich mindestens 20 Stunden wöchentlich in Form von Sprechstunden zur Verfügung steht.

Wenn ein Vertragsarzt an mehreren Standorten der ÜBAG tätig sein will, hat er einen Standort als Vertragsarztsitz zu wählen. Die Tätigkeit an diesem Vertragsarztsitz muss alle Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes zeitlich insgesamt überwiegen (§ 17 Absatz 1a Satz 3 BMV-Ä).

Von besonderer Bedeutung ist die in der oben zitierten Vorschrift des § 33 Absatz 2 Ärzte-ZV eröffnete Möglichkeit der Einbindung von angestellten Ärzten. In diesem Zusammenhang ist streng darauf zu achten, dass die angestellten Ärzte mit einem eigenen Vertragsarztsitz in die ÜBAG eingebunden werden, da andernfalls nach § 101 Absatz 1 Nr. 5 SGB V eine Leistungs- bzw. Punktmengenbegrenzung eintritt.

Betriebswirtschaftliche Erwägungen

Manche Vertragsärzte stellen bei ihren Überlegungen zu überörtlichen Strukturen die Frage in den Vordergrund, ob und gegebenenfalls an welchem Standort insbesondere bei KV-übergreifenden ÜBAGs es zu Abrechnungsvorteilen durch geschickte Auswahl des maßgeblichen Vertragsarztsitzes, durch die Wahl der „Heimat-KV“ beziehungsweise durch den Ort der Leistungserbringung kommen kann. Nach der sogenannten KVübergreifenden Berufsausübungs-Richtlinie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung erfolgt die Abrechnung der vertragsärztlichen Leistungen jeweils bei der Kassenärztlichen Vereinigung am Ort der Leistungserbringung. Abrechnungstechnischer Gestaltungsspielraum besteht daher bei gesetzeskonformer Abrechnung im Regelfall nicht.

Wesentlicher für die Entscheidung zur Gründung einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft sind nach Auffassung des Verfassers dem gegenüber allgemeine unternehmerische und strategische Fragestellungen. So kann durch vertragsarztsitzübergreifende Strukturen der Bekanntheitsgrad einer Arztpraxis deutlich verbessert, dem Unternehmen Arztpraxis eine Filial- beziehungsweise Konzernstruktur gegeben und auf diesem Weg die Marktposition der Praxis standortübergreifend verbessert werden. Betriebswirtschaftlich können bei professioneller Positionierung der ÜBAG Wettbewerbsvorteile und Synergieeffekte und damit eine Erhöhung des Gewinns der Praxis realisiert werden.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass die ÜBAG grundsätzlich für jede Praxis mit einer überregionalen Ausrichtung in Betracht kommt. Besonders interessant erscheint die ÜBAG für operativ tätige Praxen, insbesondere sofern ein Austausch zwischen konservativer und operativer Tätigkeit an den verschiedenen Standorten durchgeführt werden soll und generell für kosten- oder investitionsintensive Praxen.

Zulassungsrechtliche Fragen

Die ÜBAG bedarf der vorherigen Genehmigung des Zulassungsausschusses. Für eine ÜBAG mit Vertragsarztsitzen in mehreren Zulassungsbezirken einer KV bestimmt sich der zuständige Zulassungsausschuss durch Vereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und den  Landesverbänden der Krankenkassen sowie den Verbänden der Ersatzkassen. Verfügt die ÜBAG in mehreren Kassenärztlichen Vereinigungen über
Mitglieder beziehungsweise Partner, hat sie den Vertragsarztsitz zu wählen, der maßgeblich für die Genehmigungsentscheidung sowie für die auf die gesamte Leistungserbringung der Gesellschaft anzuwendenden ortsgebundenen Regelungen, insbesondere zur Vergütung, zur Abrechnung sowie zu den Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen, ist. Die Wahl hat für die Dauer von jeweils zwei Jahren zu erfolgen.

Die Gründung der ÜBAG und deren Gesellschaftsvertrag

Für die Gestaltung des Gesellschaftsvertrages von einer ÜBAG kann zunächst zurückgegriffen werden auf Gesellschaftsverträge, welche für die örtliche Berufsausübungsgemeinschaft eingesetzt werden (vergl. Teil 1 der Serie in g+g 4/2009, S. 85). Ergänzend sind exemplarisch die nachfolgend dargestellten Aspekte zu beachten.

Es gibt verschiedene Wege, um eine ÜBAG zu gründen. Die rechtliche und steuerliche Gestaltung hängt insbesondere von der historischen Ausgangssituation der an der ÜBAG zu beteiligenden Vertragsärzte und von den rechtlichen und wirtschaftlichen Zielsetzungen von deren künftigen Mitgliedern ab.

  • In Betracht kommt zunächst die Neugründung einer ÜBAG durch Kollegen, die sich erstmalig selbstständig machen wollen. Dies sind regelmäßig Klinikärzte oder bislang im Rahmen von Anstellungsverhältnissen tätige Ärzte. Sämtliche Gründer sollten unbedingt einen Vertragsarztsitz „erwerben“ (hier stellen sich besondere Fragen, die im Rahmen dieses Beitrags nicht behandelt werden können), um eine Leistungs- beziehungsweise Punktmengenbegrenzung nach § 101 SGB V zu vermeiden. In jedem Fall bedarf es einer sorgfältigen Prüfung, ob eine ÜBAG gerade für Ärzte zu Beginn ihrer Selbstständigkeit geeignet ist. Rein rechtliche Bedenken hiergegen bestehen jedenfalls nicht.
  • Eine ÜBAG kann auch aus einer bestehenden örtlichen Berufsausübungsgemeinschaft durch Erweiterung um einen oder mehrere Standorte, an dem jeweils einer der bisherigen Partner tätig wird, gebildet werden. Voraussetzung ist, dass zuvor an jedem neuen Standort ein Vertragsarztsitz erworben wird.
  • Ein an einem anderen Standort niedergelassener Vertragsarzt kann einer bestehenden Berufsausübungsgemeinschaft derart beitreten, dass er seinen Standort in die örtliche Berufsausübungsgemeinschaft „einbringt“ und hierdurch eine ÜBAG entsteht.
  • Die ÜBAG kann durch Fusion zweier bestehender Berufsausübungsgemeinschaften oder auch durch Verbindung von mindestens zwei Vertragsärzten mit verschiedenen Vertragsarztsitzen gebildet werden.
  • Schließlich kann eine bereits bestehende ÜBAG um einen oder mehrere Standorte erweitert werden.

In all diesen Fällen sind umfängliche rechtliche und steuerliche Prüfungen vorzunehmen, um die gewünschten Ziele zu erreichen und um rechtliche, finanzielle oder steuerliche Nachteile, die bei fehlerhafter Gestaltung des Gesellschaftsvertrages eintreten können, zu vermeiden.

Bei der Gestaltung der Gesellschaftsverträge sind insbesondere die Eintrittsund Trennungsszenarien sorgfältig zu behandeln. Außerdem sind Fragen der Kosten- und Gewinnverteilung noch exakter zu analysieren als bei einer örtlichen Berufsausübungsgemeinschaft.

Verbinden sich mehrere Vertragsärzte, insbesondere aus bestehenden Strukturen, zu einer ÜBAG, ist den Beteiligten zunächst anzuraten, eine Praxisbewertung der verschiedenen Praxen beziehungsweise der Praxisanteile vorzunehmen. Häufig müssen Ausgleichszahlungen
und/oder unterschiedliche Gewinnanteile der künftigen Partner der ÜBAG vereinbart werden. Als Rechtsform der ÜBAG empfiehlt der Verfasser,
wie auch bei der örtlichen Berufsausübungsgemeinschaft, im Regelfall die Partnerschaftsgesellschaft.

Kosten und Gewinn klar definieren

Besonders wichtig für die professionelle Gestaltung des Gesellschaftsvertrages einer ÜBAG ist die Beurteilung der Frage, in welchem Umfang deren Partner an Kosten und Gewinn der ÜBAG insgesamt bzw. von deren Standorten, soweit hier differenziert werden soll, beteiligt sein sollen. Im Idealfall erfolgt die Kosten- und Gewinnverteilung nach Kopfteilen der Partner. Ideal ist dies freilich nur dann, wenn die Partner auch „gleich stark“ sind, da andernfalls Zerwürfnisse drohen. Bei unterschiedlicher Stärke empfehlen sich differenzierte Regelungen über die Kostenzurechnung und/oder über die Gewinnverteilung. Auch sollte über flexible Modelle, etwa über Anreizmodelle, nachgedacht werden, wenn beispielsweise ein Standort für die ÜBAG erst aufgebaut werden muss. Der Partner, der diese Aufgabe übernimmt, kann häufig nur über einen finanziellen Anreiz motiviert werden.
Stets ist eine gut austarierte und interessengerechte Vertragsgestaltung für den dauerhaften Erfolg der ÜBAG von fundamentaler Bedeutung.

Regeln für das Ausscheiden festlegen

Für den Fall des Ausscheidens von Partnern aus einer ÜBAG sind für die Gestaltung des Gesellschaftsvertrages der ÜBAG neben der Klärung der Fragen, die sich auch bei der örtlichen Berufsausübungsgemeinschaft stellen, mit noch höherer Konzentration Überlegungen über ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot anzustellen. Außerdem ist das Nachbesetzungsverfahren zu regeln, eine Definition der Bewertung des Gesellschaftsanteils des ausscheidenden Gesellschafters als Grundlage für dessen Abfindung vorzunehmen und die Frage des Schicksals des möglicherweise vakant werdenden Standortes zu regeln. In Einzelfällen kann es durchaus angemessen sein, dem Vertragsarzt, der beispielsweise einen entlegenen Standort besetzt hat, im Fall einer Trennung diesen Standort zu belassen. Häufiger wird es jedoch von besonderer strategischer Bedeutung für die Partner der ÜBAG sein, den Standort dauerhaft für die ÜBAG zu sichern und einen ausscheidenden Gesellschafter gegen
Zahlung einer angemessene Abfindung zur Sitzübertragung beziehungsweise Sitzbelassung bei der ÜBAG zu verpflichten.

Fazit

Im Zuge der deutlichen Ausweitung ärztlicher Kooperationsformen zeigt sich zunehmend, dass überörtliche Strukturen von den Vertragsärzten angestrebt werden und dies zu Recht. Durch überörtliche Strukturen wird zwar nicht immer eine Erhöhung des Gewinnanteils der einzelnen Partner eintreten, ein rechtlich und unternehmerisch optimiertes Konzept, das eine hohe medizinische Qualität mit einer klaren betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Struktur verbindet, wird aber häufig zu einem Einkommenszuwachs der beteiligten Partner der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft führen.

Stand:  April 2009

Rechtsanwalt Dr. jur. Alexander Böck

Lenzhalde 53
70192 Stuttgart
E-Mail: boeck@boeck-law.de
Web: www.boeck-law.de