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Off-Label-Therapien – Rechtliche Schwierigkeiten vermeiden

Der Beitrag greift rechtliche Problemstellungen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Off-Label-Therapien auf und versucht sie einer juristischen Antwort zuzuführen. Der Titel des Ziels der Vermeidung rechtlicher Schwierigkeiten ist hochgegriffen. Der Beitrag unternimmt jedenfalls den Versuch, dem Praktiker Hinweise für rechtliche Risikolagen zu geben.

Begriffliche Einordnung des Off-Label-Use

Während bei dem „No-Label-Use“ eine arzneimittelrechtliche Zulassung gänzlich fehlt, etwa weil bislang ein Zulassungsverfahren nicht durchgeführt wurde oder die klinische Prüfung noch nicht abgeschlossen ist, wird von Off-Label-Use gesprochen, wenn für ein Arzneimittel eine inländische Zulassung besteht, der konkret beabsichtigte Einsatz jedoch außerhalb des zugelassenen Indikationsgebietes stattfindet. In Fachkreisen wird von zulassungsüberschreiten der Anwendung von Arzneimitteln gesprochen. Der Gesetzgeber des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) definiert in § 35c Abs. 1 Satz 1 SGB V den Off-Label-Use als die Anwendung von zugelassenen Arzneimitteln für Indika-tionen und Indikationsbereiche, für die sie nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) nicht zugelassen sind. Eine Zulassung kommt hierbei entweder nach § 25 Abs. 1 Satz 1 AMG durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) nach Art. 3 Abs. 2 und 3 VO (EG) Nr. 726/2004 in Betracht.

Problemsituation des behandelnden Arztes

Für den behandelnden Arzt stellen sich bei der Verordnung von Arzneimitteln im Off-Label-Use diverse, teilweise miteinander konkurrierende Fragestellungen. Vergütungsrechtlicher Natur ist die Frage, ob die Verordnung von Arzneimitteln im Off-Label-Use einen vertragsarztrechtlichen Vergütungsanspruch gegen die beteiligten Krankenkassen auslöst. Soweit dies nicht eindeutig ist, muss der behandelnde Arzt Wege finden, seinen Vergütungsanspruch vertragsarztrechtlich oder durch eine Privatliquidation abzusichern. Der behandelnde Arzt kann auch überlegen, eine Verordnung im Off-Label-Use zu vermeiden und anderweitige Verordnungen vorzunehmen. Erweist sich im Einzelfall die Verordnung eines bestimmten Arzneimittels im Off-Label-Use als erforderlich und alternativlos, kann aber auch die Nichtverordnung dieses Arzneimittels pflichtwidrig sein und einhergehende Rechtsfolgen auslösen. Ebenso kann auf der anderen Seite die Verordnung von Arzneimitteln im Off-Label-Use pflichtwidrig sein und Schadensersatzansprüche von Patienten oder Regressansprüche der Krankenkassen auslösen. Generell kommt bei der Verordnung oder der Nichtverordnung von Arzneimitteln im Off-Label-Use auch ein strafbares Verhalten in Betracht, insbesondere wenn eine Verschlechterung des Zustandes oder der Tod eines Patienten verursacht wird und/oder gegen Aufklärungspflichten verstoßen wird. Die Problemkreise sollen nachfolgend mit Blick auf die, soweit ersichtlich, einschlägige Gesetzeslage und Rechtsprechung beleuchtet werden. Abschließende Lösungen kann dieser Beitrag naturgemäß nicht liefern.

Recht der GKV: Leistungspflicht der Krankenkassen

Verordnungsfähigkeit

Ausgangspunkt der rechtlichen Betrachtung ist die oben zitierte Vorschrift des §35c SGB V. Der Gesetzgeber regelt die Frage, wann gesetzlich Versicherten ein Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln zusteht, insbesondere für den Fall des Off-Label-Use, freilich nicht abschließend. Grundsatz der Kostenübernahme eines Arzneimittels ist für die GKV die Arzneimittelzulassung. In § 35c SGB V ist ein besonderes Verfahren der Bewertung durch Expertengruppen, die beim BfArM berufen sind, geregelt. In diesem Zusammenhang findet die auf der Rechtsgrundlage von § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassene Arzneimittelrichtlinie Anwendung. Nach deren § 30 ist die Verordnung von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten (Off-Label-Use) zulässig, wenn die Expertengruppen nach § 35c Abs. 1 SGB V mit Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmers eine positive Bewertung zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung dieser Arzneimittel in den nicht zugelassenen Indikationen oder Indikationsbereichen als Empfehlung abgegeben haben und der gemeinsame Bundesausschuss (BG-A) die Empfehlung in die vorerwähnte Arzneimittel-Richtlinie übernommen hat.

Anlage VI zum Abschnitt K

Diese Empfehlung und ihre Übernahme ist vorliegend in der Anlage VI zum Abschnitt K beziehungsweise zum vorstehend zitierten § 30 der Arzneimittel- Richtlinie erfolgt. Diese Anlage VI zur „Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten (Off-Label-Use)“ trat in der aktuellen Fassung am 8. Juni 2016 in Kraft und ist in zwei Abschnitte gegliedert:

  • Teil A: „Arzneimittel, die unter Beachtung der dazu gegebenen Hinweise in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten (Off-Label-Use) verordnungsfähig sind“. In diesem Teil sind nunmehr insgesamt 23 Arzneimittel als positiv bewertet und damit als verordnungsfähig aufgeführt.
  • Teil B: Hier sind 14 Arzneimittel negativ bewertet und damit als nicht verordnungsfähig ausgewiesen.

Das Dokument ist, soweit dort Arzneimittel oder Wirkstoffe aufgeführt sind, für den Rechtsanwender von zentraler Bedeutung, auch wenn die Anzahl der aufgeführten Arzneimittel und Wirkstoffe zahlenmäßig sehr begrenzt ist. Das Dokument kann im Internet unter https://www.g-ba.de/downloads/83-691-410/AM-RL-VI-Off-label-2016-06-08.pdf abgerufen werden. Für den behandelnden Arzt soll das Verständnis der Anlage VI an einem Beispielfall kurz erläutert werden (Beispielfall Off-Label-Indikation einer Prophylaxe der Toxoplasmose-Enzephalitis).

Beispielfall: Off-Label-Indikation einer Prophylaxe der Toxoplasmose-Enzephalitis

Unter Teil A. Ziffer XXIV. ist das Arzneimittel Cotrimoxazol (Trimethoprim/Sulfamethoxazol) zur Prophylaxe der Toxoplasmose-Enzephalitis als verordnungsfähig aufgeführt. Nach § 30 Abs. 2 der Arzneimittel-Richtlinie hat der behandelnde Arzt die Hinweise zur Anwendung des betreffenden Arzneimittels in der Anlage VI zur Arzneimittelrichtlinie zu beachten. Im Beispielsfall sind unter Ziffer 1 die zu beachtenden Hinweise aufgeführt; die Systematik der Richtlinie ist bei allen aufgeführten Arzneimitteln analog.

  • Unter Ziffer 1 lit. a) wird als nicht zugelassenes Anwendungsgebiet beziehungsweise als Off-Label-Indikation die Prophylaxe der Toxoplasmose-Enzephalitis auf Patienten mit weniger als 100 CD 4-Lymphozyten/µl beschränkt.
  • Unter lit. d) ist die „spezielle Patientengruppe“ genannt.
  • Unter lit. e) sind Patienten genannt, die nicht behandelt werden sollen, im Beispielsfall Patienten mit Cotrimoxazol-Unverträglichkeit im Sinne einer allergischen Reaktion.
  • Unter lit. f) ist eine Dosierungsanweisung aufgeführt,
  • unter lit. g) die mindest erforderliche Behandlungsdauer,
  • unter lit. h) Ereignisse, bei denen die Behandlung abgebrochen werden „sollte“ (so ausdrücklich die Formulierung der Richtlinie, der Verfasser empfiehlt, in Zweifelsfällen die Sollbestimmung als „Mussbestimmung“ zu lesen).
  • Unter lit. i) ist angeführt, dass nach der Berufsordnung der Ärzte Verdachtsfälle von Nebenwirkungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) beziehungsweise der zuständigen Bundesoberbehörde zu melden sind.
  • Lit. k) enthält eine Aufstellung pharmazeutischer Unternehmer, die für ihre Cotrimoxazol-haltigen Arzneimittel eine Anerkennung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs abgegeben haben (womit auch eine arzneimittelrechtliche Haftung des pharmazeutischen Unternehmers übernommen wird), sodass ihre Arzneimittel für die vorgenannte Off-Label-Indikation verordnungsfähig sind. Außerdem sind unter lit. k) Arzneimittel diverser nicht verordnungsfähiger Arzneimittel aufgeführt, da für diese die erforderliche Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmers nicht abgegeben wurde.

Im konkreten Beispiel ist unter Ziffer 2 im Übrigen angeführt, dass, wie bei den meisten Arzneimitteln der Positiv-Liste des Teils A. der Anlage VI keine spezifischen Anforderungen an eine Verlaufsdokumentation gemäß § 30 Abs. 4 der Arzneimittel-Richtlinie gegeben sind. – Bei Verordnung beispielsweise des Arzneimittels Verapamil zur Prophylaxe des Cluster-Kopfschmerzes ist nach Teil A. Ziffer IX der Anlage VI zur Arzneimittel- Richtlinie während der Prophylaxe des Cluster-Kopfschmerzes mit Verapamil eine Verlaufsdokumentation in Form regelmäßiger EKG-Kontrollen durchzuführen und zu dokumentieren. Zum Zwecke der Anerkennung der Verordnungsfähigkeit empfiehlt der Verfasser dringend, die Regularien der genannten Richtlinie strikt einzuhalten. Außerhalb des beschriebenen Anwendungsbereiches regelt § 35c Abs. 2 SGB V den Off-Label-Use von Arzneimitteln in klinischen Studien in Bezug auf den Versorgungsanspruch Versicherter, die in solche Studien eingeschlossen sind. Dieser Sonderfall soll im Rahmen dieses Beitrages nicht erörtert werden.

Allgemeine Regelungen

Darüber hinaus haben sich allgemeine Regelungen, die von der Rechtsprechung des BSG im Jahr 2002 aufgestellt und im Anschluss modifiziert wurden, zur Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln im Off-Label-Use herausgebildet. Nachdem die Anzahl der in der Anlage VI zur Arzneimittel-Richtlinie – positiv oder negativ – aufgeführten Arzneimittel sehr gering ist, gilt es, auf die Grundsätze der Rechtsprechung nach Maßgabe der nachfolgenden weiteren Ausführungen zurückzugreifen, sofern die zulassungsüberschreitende Anwendung eines Arzneimittels beabsichtigt ist.

Grundsatzentscheidung des BSG

In einer Grundsatzentscheidung vom 19. März 2002 führte das Bundessozialgericht (BSG) aus, beim Off-Label-Use bestehe eine Erstattungspflicht der Krankenkassen, wenn Gegenstand der Behandlung eine schwerwiegende (lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende) Erkrankung ist, bei der keine andere Therapie verfügbar ist und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit letzteres angenommen werden kann, müssen nach dem zitierten Urteil des BSG Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden

  •  wenn die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (vs. Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen,
  •  oder wenn außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen im vorgenannten Sinn besteht.

Das BSG hat durch Urteil vom 26. September 2006 den Tatbestand der erforderlichen „schwerwiegenden Erkrankung“ noch dahingehend konkretisiert, dass es sich um eine solche handeln müsse, die sich durch ihre „Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt“. Die Rechtsprechung ist insgesamt komplex und führt für den behandelnden Arzt, der sich vor einer schwierigen therapeutischen Entscheidung befindet, nur sehr eingeschränkt zur erforderlichen Rechtsklarheit.

Wenn keine schulmedizinischen Behandlungsmethoden vorliegen

Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 im „Nikolaus-Beschluss“ geben die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 GG einen Anspruch auf Krankenversorgung insbesondere in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, wenn für sie schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen und die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht. In der Folge hat das BSG den verfassungsrechtlichen Leistungsanspruch auf wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungsfälle in notstandsähnlichen Situationen erweitert (vgl. Urteil vom 14. Dezember 2006). Dies sei bei einem drohenden, nicht kompensierbarem Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gegeben. Der Verlust müsse jedoch in absehbarer Zeit, das heißt in einem kürzeren, überschaubarem Zeitraum, mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (vgl. Urteil vom 28. Februar 2008).

Auch bei sehr seltenen Erkrankungen oder singulären Krankheitsfällen

Auch bei sehr seltenen Erkrankungen oder singulären Krankheitsfällen, die einer systematischen Erforschung von auf diese bezogenen Therapiemöglichkeiten per se nicht zugänglich sind und für die eine andere Therapiemöglichkeit nicht zur Verfügung steht, kann nach einem Urteil des BSG vom 19. Oktober 2004 die vorherige Anerkennung in der BuB-RL (Richtlinie über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs. 1 SGB V des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 28. Oktober 2002, dem entsprechen heute die Richtlinien des GB-A) nicht zur Anspruchsvoraussetzung erhoben werden und daher im Einzelfall eine Leistungsgewährungsverpflichtung der Krankenkasse in Betracht kommen. Die Voraussetzungen, die das BSG freilich fordert, um einen Leistungsgewährungsanspruch gegen die Krankenkasse zu bejahen, sind extrem hoch.

(…) wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung besteht

Der Gesetzgeber hat mit Wirkung ab dem 1. Januar 2012 auf die höchstrichterliche Rechtsprechung reagiert und in § 2 Abs. 1a SGB V die Vorschrift aufgenommen, dass „Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, Leistungen der GKV beanspruchen können, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht“.

Antrag auf Kostenübernahme vor Verordnung beantragen

Für die Praxis besonders bedeutsam ist die gesetzliche Regelung des § 2 Abs. 1a Satz 2 SGB V, nach welcher die Krankenkasse für Leistungen nach dem vorstehend erläuterten § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V „vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung erteilt“ (und dies bedeutet juristisch, dass eine Verpflichtung der Krankenkasse bzw. ein Rechtsanspruch des Patienten besteht), wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer, mithin der jeweilige Vertragsarzt, dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird nach dem Gesetz die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt. In jedem Fall des beabsichtigten Off-Label-Use ist dem behandelnden Arzt daher dringlich zu empfehlen, vor Verordnung des betreffenden Arzneimittels bei der Krankenkasse eine Kostenübernahmeerklärung zu beantragen. Antragsformulare auf Kostenübernahme einer Off-Label-Verordnung gemäß § 2 Abs. 1a SGB V finden sich im Internet unter anderem auf der Internetseite der KV Baden- Württemberg. Der Antrag sollte mit einer kurzen Frist von beispielsweise sieben Tagen verbunden werden. Es kann darauf verwiesen werden, dass im Falle einer Ablehnung sich der behandelnde Arzt vorbehält, das Arzneimittel auf einem Privatrezept zu verordnen. Außerdem sollte dem Antrag eine Erklärung des Versicherten beigefügt werden, in welcher der Patient die Erklärung abgibt, dass der Patient davon Kenntnis hat, dass das vom Arzt empfohlene Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung eingesetzt wird und eine Herstellerhaftung nicht besteht. In dem Formular der KV Baden-Württemberg ist auch darauf hingewiesen, dass der Patient über die medizinischen, sozial- und haftungsrechtlichen Aspekte des Einsatzes des konkreten Arzneimittels im Rahmen eines Aufklärungsgesprächs umfassend informiert wurde und er auf eine Haftung des verordnenden Arztes wegen der Anwendung des Arzneimittels außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verzichte. Ob ein derartiger Haftungsverzicht juristisch zulässig ist, ist nach Einschätzung des Verfassers rechtlich freilich nicht gesichert.

Bei Eilbedürftigkeit

Der behandelnde Arzt kann in bestimmten Situationen gehalten sein, ein Arzneimittel im Off-Label-Use unverzüglich einzusetzen, etwa in Fällen von aus der Klinik entlassenen Patienten mit schweren Erkrankungen und dem Erfordernis umgehender Behandlungsfortsetzung. Ist er gehalten ein Kassenrezept unverzüglich auszustellen, sollte er nach einer Empfehlung der KV Baden-Württemberg bei der Krankenkasse einen schriftlichen Antrag auf Begutachtung stellen und auf die Eilbedürftigkeit hin-weisen. Einige Krankenkassen haben sich bereit erklärt, bei Beachtung der Hinweise und einer konkreten und sauber dokumentierten Indikationsstellung Erstverordnungen auf Kassenrezept zu ihren Lasten zu akzeptieren und keine Prüfanträge aufgrund des Off-Label-Use zu stellen. Dies sind insbesondere die AOK Baden-Württemberg, die BARMER GEK, die KKH Allianz oder die IKK Baden-Württemberg und Hessen. Voraussetzung ist stets, dass es sich um eine schwere beziehungsweise lebensbedrohliche Erkrankung handelt, für die eine sofortige Behandlung oder Fortsetzung der Behandlung medizinisch zwingend ist, und dass die zuständige Krankenkasse nicht erreichbar oder kurzfristig nicht auskunftsfähig ist. Vor allem in Fällen, in denen der behandelnde Arzt von der Erfordernis des Einsatzes eines bestimmten Medikaments ausgeht, und die betreffende Krankenkasse die Kostenübernahme nicht erklärt, sollte er ein Privatrezept ausstellen. Dies gilt vor allem, wenn die umgehende Behandlung mit der gewählten Methode oder mit dem Einsatz eines bestimmten Medikaments für zwingend erforderlich gehalten wird, um eine akute Verschlechterung des Zustands eines Patienten oder der Gefahr seines bevorstehenden Todes entgegenzuwirken. Ob die Krankenkasse letztlich leistungs- pflichtig ist, hat der Patient dann gegenüber der Krankenkasse – erforderlichenfalls in einem Gerichtsverfahren – klären zu lassen.

Haftung und Strafbarkeit isoliert von der Frage der Kostenerstattung

Hervorzuheben für die Praxis ist schließlich, dass die Krankenkassen bei kostengünstigeren Behandlungsmethoden oder Medikamenten häufig eine Kostenübernahme anerkennen, auch wenn die Voraussetzungen der Rechtsprechung nicht erfüllt sind, in der Psychiatrie etwa bei schweren Depressionen oder bei Borderline-Störungen. Freilich muss hier auch dringlich gewarnt werden, da die unten noch anzusprechende Frage der Haftung und einer eventuellen Strafbarkeit isoliert von der Frage der Kostenerstattung durch eine Krankenkasse betrachtet werden muss.

Regressrisiko

Nicht eindringlich genug kann der behandelnde Arzt auch vor möglichen Regressrisiken gewarnt werden. Ermöglicht er eine Vorabprüfung durch die Krankenkasse nicht und/oder verschreibt er ein Medikament im Rahmen eines Kassenrezepts entgegen der Ablehnung seitens der Krankenkasse und fallen hierdurch Arzneikosten an, kann und wird die Krankenkasse diese regelmäßig beim verordnenden Arzt regressieren.

Haftungs- und Strafrecht

Betreffend die haftungs- und strafrechtlichen Auswirkungen des Off-Label-Use kann an dieser Stelle nur auf die allgemeine Rechtslage sowie auf die weitgehend bekannte Rechtsprechung zur Verletzung von Aufklärungspflichten verwiesen werden. Jedenfalls stellt die Verordnung eines nicht zugelassenen Arzneimittels zunächst nicht unmittelbar einen ärztlichen Behandlungsfehler dar, da sich die arzneimittelrechtlichen Zulassungsvorschriften nur an den Hersteller und nicht an den behandelnden Arzt richten, so jedenfalls eine in der juristischen Literatur prominent vertretene Auffassung.

(K)ein Behandlungsfehler?

In einer zivilrechtlichen Haftungsentscheidung hat der Bundesgerichtshof (BGH) festgehalten, dass die Anwendung einer neuen Behandlungsmethode unter Einsatz eines in Deutschland nicht zugelassenen Medikaments zulässig sei, wenn die verantwortliche medizinische Abwägung und ein Vergleich der zu erwartenden Vorteile dieser Methode und ihrer abzusehenden und zu vermutenden Nachteile mit der standardgemäßen Behandlung unter Berücksichtigung des Wohls des Patienten die Anwendung der neuen Methode rechtfertigt (Urteil des BGH vom 27. März 2007). Im Übrigen richtet sich die Frage, ob die Verordnung eines Medikaments im Off-Label-Use einen Behandlungsfehler darstellen kann, nach dem zum Behandlungszeitpunkt in der ärztlichen Praxis und Erfahrung bewährten, nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis gesicherten und von einem Facharzt verlangten Maß an Kenntnis. Unrichtig dürfte demgegenüber die Auffassung des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 27. Oktober 2005 sein, das Unterbleiben eines Off-Label-Use könne niemals einen Behandlungsfehler darstellen. Dagegen hat das Oberlandesgericht Köln in einem Urteil vom 30. Mai 1990 entschieden, dass es einen Behandlungsfehler darstellt, ein nicht zugelassenes Medikament nicht zu verordnen, wenn dies medizinisch geboten ist. Im entschiedenen Fall war die Wirksamkeit des Mittels aufgrund von Studien an großen Patientenzahlen belegt; in einem medizinischen Standardwerk war angegeben, dass die Behandlung der konkreten Krankheit mit dem konkreten Medikament (Herpes-Enzephalitis mit Aciclovir) über das Versuchsstadium hinaus sei und sich als wirksam erwiesen hatte.

Erhöhte Aufklärungspflichten

Entsprechend allgemeinen Regelungen reicht die Aufklärungspflicht des behandelnden Arztes umso weiter, je risikoreicher eine Behandlung ist. Beim geplanten Off-Label-Use ist der Patient daher besonders gründlich aufzuklären. Die Aufklärung sollte insbesondere die nachfolgenden Themenkreise abdecken:

  • Fehlende Zulassung des Medikaments
  • Bekannte Risiken und Nebenwirkungen
  • Mangels Zulassung möglicherweise unbekannte Nebenwirkungen und schwerstmögliche Verläufe
  • Drohende Ablehnung der Kostenübernahme durch die jeweilige Krankenkasse
  • Fehlende Herstellerhaftung

Gegebenenfalls sollte der behandelnde Arzt den Patienten auch über die oben angeführten Kriterien der Rechtsprechung informieren und darstellen, dass die Kriterien der Rechtsprechung nach seiner Auffassung erfüllt sind. Hier kann freilich das Risiko entstehen, dass der Arzt sich möglicherweise in der Rechtslage irrt und dem Patienten diese dann möglicherweise fehlerhaft darstellt. Die Aufklärung sollte umfassend im Rahmen einer schriftlichen Dokumentation für spätere gegebenenfalls erforderliche Nachweise festgehalten werden. Soweit geeignete Formulare vorliegen, sollten diese eingesetzt und gegebenenfalls vorab juristisch überprüft werden. Auch die Therapieentscheidung des behandelnden Arztes sollte umfassend schriftlich festgehalten werden.

Fazit für die Praxis

Als Conclusio ist festzuhalten, dass der behandelnde Arzt sowohl betreffend die Verordnung bestimmter Medikamente als auch deren Nichtverordnung im Bereich des Off-Label-Use mit äußerster Sorgfalt vorgehen muss, um empfindliche Regressansprüche und/oder Haftungsansprüche oder gar eine strafrechtliche Verfolgung zu vermeiden. Stand: September 2016

Rechtsanwalt Dr. jur. Alexander Böck

Lenzhalde 53
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